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Diabetes in der Allgemeinmedizin

Zielwerte und Individualisierung – ein nicht systematischer Überblick über die Studienlage

Anhang zum Themenheft „Diabetes in der Allgemeinmedizin“ der ÖGAM.

Die 1998 veröffentlichten Ergebnisse der UKPD Studie[1] zeigten für die Behandlungsgruppe mit der intensivierten Therapie (mittlerer HBA1C mit 7,0%) im Vergleich zur konventionellen Therapiegruppe (mittlerer HBA1C  mit 7,9%) eine signifikantes Absinken der mikrovaskulären Komplikationen. Schlaganfallhäufigkeit und Sterblichkeit unterschieden sich nicht, bei einem Trend zu weniger Herzinfarkten. In der  Gruppe, die einen BMI über 30kg/m2 hatte und Metformin von Anfang an einnahm (mit einem mittleren HBA1C von 7,4), kam es zu einem signifikanten Absinken der Myokardinfarkthäufigkeit ( Risikoreduktion um 39%) und der Gesamtsterblichkeit (Risikoreduktion um 36% ). Wichtig ist, dass in dieser Studie nur neudiagnostizierte Diabetiker (Alter zwischen 25 und 65 Jahren) von denen nur etwa 7,5 % makrovaskuläre Erkrankungen am Studienbeginn aufwiesen in die Studie aufgenommen wurden.

Die Patienten der UKPDS wurden 1997  in eine zehnjährige Nachbeobachtungsstudie[2] aufgenommen.  Obwohl die HBA1C Werte in den ursprünglichen Gruppen sich nach einem Jahr nicht mehr unterschieden, blieb die Risikoreduktion in der ursprünglich intensivierten Gruppe erhalten. Mehr noch, nach zehn Jahren kam es auch zu einem Absinken der Myokardinfarkthäufigkeit (15%) und der Gesamtsterblichkeit (13%)  in dieser Gruppe.  Bei den mit Metformin behandelten Patientinnen  verringerte sich die Myokardinfarktrate um 33% und die Gesamtsterblichkeit um 27% in der zehnjährigen Nachbeobachtungszeit. Die Autoren führten diese trotz gleicher Blutzuckereinstellung  anhaltenden bzw. zunehmenden  Risikounterschiede für mikro- und makrovaskuläre Erkrankungen  zwischen den Studiengruppen auf eine legacy effect zurück, der wahrscheinlich auf  die verbesserte frühe Blutzuckereinstellung von neu diagnostizierten Diabetikern zurückzuführen ist.

Die ACCORD Studie[3] untersuchte den Unterschied zwischen einer intensivierten Behandlungsgruppe (Ziel : HBA1C < 6,0% , erreichter mittlerer HBA1C : 6,4%) und einer Standardtherapiegruppe (Ziel: HBA1C : 7,0-7,9%, erreichter mittlerer HBA1C: 7,5%).  Der primäre Endpunkt bestehend aus nicht-tödlichen Myokardinfarkt, nicht-tödlicher cerebraler Insult und Tod kardiovaskulärer Ursache wurde nicht signifikant gesenkt ( um 10% , p=0,16) .  Obwohl die nicht tödlichen Myokardinfarkte in den intensivierten Behandlungsgruppe um 24 % verringert wurden, kam es gleichzeitig zu einem signifikanten Anstieg der Gesamtsterblichkeit in der intensivierten Gruppe (22%, P=0,004), was zu einem frühzeitigen Abbruch der Studie nach 3,5 Jahren führte. Auffallend bei den Ergebnissen ist, dass in der intensivierten Behandlungsgruppe bei 16,2 % der Patientinnen Hypoglykämien auftraten, die eine Fremdintervention erforderten (5,1%  in der Standardtherapiegruppe).

Die ADVANCE Studie[4], die den Effekt einer  intensivierten Blutzucker.- und Blutdruckeinstellung auf mikrovaskuläre und makrovaskuläre Komplikationen im Vergleich zu einer Standardtherapie untersuchte, hatte Patienten mit einer ähnlichen Rate an kardiovaskulären Erkrankungen und einer ähnlichen Diabetesdauer wie die ACCORD Studie eingeschlossen. Auch der mittlere HBA1C in der intensivierten Gruppe mit 6,5% und der Standardtherapiegruppe mit 7,3% war vergleichbar.  Nach fünf Jahren zeigte sich ein signifikantes Absinken der mikrovaskulären Komplikationen, insbesondere der diabetischen Nephropathie (21%). Die Gesamtsterblichkeit  wurde in der intensivierten Gruppe nicht signifikant gesenkt und auch nicht die kardiovaskuläre Mortalität. Im Vergleich zur ACCORD Studie waren aber die jährlichen Hypoglykämien mit 0,7 % in der intensivierten Gruppe bzw. 0.4% in der Standardtherapiegruppe deutlich seltener.

Im Veteran’s Affairs Diabetes  Trial[5] (VADT) wurden 1791 Männer mit einem durchschnittlichen Alter von 60 Jahren und einem mittleren HBA1C von 9,5% entweder  einer Standardtherapiegruppe oder eine intensivierte Blutzucker-Therapiegruppe zugeteilt. Bei Studienbeginn war die die Diabetesdauer im Durchschnitt 11,5 Jahre. Nach 5,6 Jahren lag der mittlere HBA1C in der intensivierten Gruppe bei 6,9%, in der Standardtherapiegruppe bei 8,4% und es zeigte sich kein Unterschied  zwischen  den beiden Gruppen betreffend der kardiovaskulären Ereignisse  und der Gesamtsterblichkeit. Hypoglykämien waren in der intensivierten Gruppe signifikant häufiger. Es gab 11 plötzliche Todesfälle in der intensivierten Gruppe im Vergleich zu 4 plötzliche Todesfälle in der Standardtherapiegruppe ( P=0,08). Die Progression der diabetischen Retinopathie als auch die Reduktion der GFR zeigte keinen signifikanten Unterschied, wohl aber der Grad der Albuminurie.

Nach Ende der Studie wurden die Patientengruppen für weiter fünf Jahre nachbeobachtet[6], nachdem sie zu ihrer ursprünglichen Diabetesbetreuung zurückkehrten. Die HBA1C Werte waren nach einem Jahr 7,8% bzw. 8,3 %.  Zehn Jahre nach Studienbeginn konnte man eine signifikante  Reduktion des Sammelendpunkts  der kardiovaskulären Ereignisse (bestehend aus Myokardinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Beinamputation  und Tod wegen kardiovaskulärer Erkrankung) um 17 % feststellen. Unbeeinflusst blieb aber die Gesamtmortalitätsrate.  

ProActive -Studie[7]:

Die Zugabe von Pioglitazon bei Typ 2 Diabetikern mit hohem kardiovaskulären Risiko (47% hatten einen Myokardinfarkt, 19% einen Schlaganfall, 31% eine koronare Revaskularisierung  und 14 %  ein akutes Koronarsyndrom in der Vorgeschichte, 20 % leiden an einer peripheren Verschlusskrankheit) konnte auf  den primären Endpunkt bestehen aus Tod, Myokardinfarkt, Schlaganfall, akutes Koronarsyndrom, Amputation oberhalb des Knöchels  oder Revaskularisation der Koronarien oder Beinarterien keine Einfluss zeigen. Auch die Gesamtsterblichkeit wurde im Vergleich zu Plazebo nicht verändert. Lediglich ein nach Studiendesign erstellter sekundärer Endpunkt bestehend aus Gesamtsterblichkeit, Myokardinfarkt und Schlaganfall soll signifikant gesenkt werden (HR 0,86, NNT =50).  Interessant war, dass sich Pioglitazon bei Patienten die ein Statin einnahmen weder auf den primären noch den sekundären Sammelendpunkt günstig auswirkte.

Ein  Cochrane Review aus dem Jahr 2013[8] kam zu dem Ergebnis, dass die intensivierte Blutzuckereinstellung  zu einer Abnahme der mikrovaskulären Komplikationen aber zu keiner Reduktion der Gesamtsterblichkeit  oder der kardiovaskulären Mortalität bei gleichzeitig deutlich erhöhtem Hypoglykämierisiko führt.  Das letzte  Review aus dem Jahr 2015 wurde wegen der Verbindung zweier Autoren zur Industrie zurückgezogen.

In der Langzeitstudie STENO-2[9]  aus Dänemark wurden 160 Patienten mit einem mittleren Alter von 55 Jahren, die eine persistierende Mikroalbuminurie aufwiesen,  in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe wurde nach den Richtlinien der Medizinischen Fachgesellschaft  in der Primärversorgung bzw.  56 Patienten davon  wurden entsprechend dieser Richtlinien im Steno Diabetes Zentrum behandelt, die andere Gruppe wurde intensiviert von einem Team bestehend aus Ärzten, Schwestern und Diätassistenten  betreut. Die Therapieziele der Interventionsgruppe  waren sehr streng (Blutdruck systolisch <130, diastolisch < 80, Gesamtcholesterin < 175mg/dl, Triglizeride < 150 mg/dl, HA1C < 6,5% , immer ACE Hemmer und ASS -Gabe), diese sollten durch Verhaltensmodifikation und Polypharmakotherapie erreicht werden. Auch sollte in der intensivierten Gruppe der Fettanteil der Nahrung unter 30% sein, 3-5 mal pro Woche sollten die Patienten ein moderates körperliches Training absolvieren, Vitamintabletten einnehmen und die Raucher an eine Entwöhnungsprogramm teilnehmen.

Der primäre Studienendpunkt war eine Zusammensetzung aus: kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt, ACBP, PCI, nicht tödlicher Schlaganfall, Beinamputation wegen einer Ischämie oder andere periphere gefäßchirurgische Eingriffe.

Der sekundäre Studienendpunkt betraf die Inzidenz von mikrovaskulären Erkrankungen  (diabetische Nephropathie, Retinopathie und  Neuropathie).

Nach acht Jahren kam es sowohl im primären als auch sekundären Studienendpunkt  in der intensivierten Gruppe  zu einer relativen Risikoreduktion von fast 50% im Vergleich zur Standardtherapiegruppe. Beide Gruppe unterschieden  sich am Ende der Studie signifikant im HBA1c, im systolischen und diastolischen Blutdruck, in den Blutfettwerten und in der Albuminausscheidung im Harn. Auch ein weiteres Follow-UP 5,5 Jahre später[10] zeigte eine absolute Risikoreduktion  der Gesamtsterblichkeit  von 20% und der kardiovaskulären Mortalität von 13% in der intensivierten Gruppe und das obwohl sich nach Studienende die Risikofaktoren (Blutdruck, HBA1C, Blutfette, Albuminausscheidung) beider Gruppen sich weitgehend annäherten. In der Besprechung der Studienergebnisse   maßen die Autoren der Therapie mit Statinen gefolgt von der antihypertensiven Therapie und dann weiter der Behandlung mit Antidiabetikern und Aspirin den größten Effekt in der Reduktion des kardiovaskulären Risikos zu.

In der EMPAG -Reg -Outcome Studie [11] (Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes)   wurden 7020 Patienten mit manifesten kardiovaskulären Erkrankungen (Myokardinfarkt, Schlaganfall, gesicherte KHK, instabile AP oder gesicherte periphere arterielle Verschlusskrankheit)  und  Typ 2 Diabetes  randomisiert entweder einer Therapiegruppe mit Empaglifloxin oder einer Gruppe mit Placebo zugeordnet. Primärer Endpunkt dieser   Studie war eine Zusammensetzung aus kardiovaskulärem Tod, nicht tödlichem Myokardinfarkt  oder Schlaganfall. Sekundärer Endpunkt war der primäre Endpunkt plus die Hospitalisierung wegen einer instabilen Angina pectoris. Die Empaglifloxin -Gruppe hatte eine signifikant niedriger HR  im Vergleich zur Placebo-Gruppe und diese war bereits wenige Monate nach Studienbeginn sichtbar. Dies macht sehr unwahrscheinlich, dass die gering verbesserte Blutglukosekontrolle zu diesem Ergebnis führte.  Vermutet wird, dass die erhöhte Natriumausscheidung, der veränderte kardiale Sauerstoffbedarf und der niedrigere Blutdruck für die Wirkung verantwortlich sein könnte.

In dem einem Review [12]  analysieren Ceriello et al den möglichen biochemischen Zusammenhang zwischen einer länger dauernden Hyperglykämie und der Entstehung eines metabolischen Gedächtnisses in den Mitochondrien. Die Entstehung dieses Gedächtnisses wird als einer der Gründe dafür angesehen,  dass nach einer länger dauernden Hyperglykämie auch eine sehr gute Blutzuckereinstellung fortschreitende kardiovaskuläre Schäden nicht verhindert.  Oxidativer Stress und Hyperglykämie bewirken die Bildung von   „advanced glycation end-products“ (AGE)  in den Mitochondrien , ein möglicherweise irreversibler Vorgang der für das bleibende metabolische Gedächtnis verantwortlich ist. Diese AGE generieren die Entstehung von intrazellulären „ reactive oxygen species“ die in weitere Folge  zu  einer Schädigung der mtDNA und der Atmungskette führen und dadurch schließlich eine endotheliale Dysfunktion hervorrufen. Substanzen, die in vitro gezeigt haben, dass sie in der Lage sind diese AGE  Bildung zu verhindern waren: Metformin, Pioglitazon , ACE Hemmer, Gliclazid und Telmisartan.

 

Studie

Diabetesdauer

HBA1c Intensive Gruppe

HBA1c Standardtherapiegruppe

Reduktion der Mirkovasculären Komplik.

Reduktion der Makrovasculären Kompl.

UKPDS

0

7

7,9

+

+

(Metformingruppe u. Nachbeobachtungszeit

ACCORD

10a

6,4

7,5

0

 –

 Anstieg der Mortalität

ADVANCE

10a

6,5

7,3

+

VADT

11,5a

6,9

8,4

+/-

+ (Nachbeobachtungsphase)

STENO 2

Patienten mit Albuminurie

7,9

8,7

++

++

(Reduktion der Mortalität-Nachbeobachtungsphase)

Quellen

[1] Intensive blood-glucose control with sulphonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes (UKPDS 33). UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group Lancet. 1998;352(9131):837-53.

[2] Holman RRPaul SKBethel MA et al. 10-year follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl J Med. 2008 Oct 9;359(15):1577-89. DOI: 10.1056/NEJMoa0806470. Epub 2008 Sep 10.

[5] Duckworth W, Abraira C, Moritz Th et al. Glucose Control and Vascular Complications in Veterans with Type 2 Diabetes N Engl J Med 2009; 360:129-139

[6] Hayward A, Reaven P, Wiitala W et al. Follow-up of Glycemic Control and Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes N Engl J Med 2015; 372:2197-2206

[7] Charbonnel B, Dormandy J, Erdmann E et.al. The Prospective Pioglitazone Clinical Trial in Macrovascular Events (PROactive). Diabetes Care 2004; 27(7): 1647-1653. DOI: 10.2337/diacare.27.7.1647

[9] Gæde P , Vedel P, Larsen N et al.  Multifactorial Intervention and Cardiovascular Disease in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2003; 348:383-393 DOI: 10.1056/NEJMoa021778

[10]Gæde P, Lund-Andersen H, Parving HH et al. Effect of a Multifactorial Intervention on Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2008; 358:580-591, 2008 DOI: 10.1056/NEJMoa0706245

[11] Zinman B, Wanner C, M.D., Lachin JM et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes  N Engl J Med 2015; 373:2117-2128, 2015 DOI: 10.1056/NEJMoa1504720

[12] Ceriello A, Ihnat MA, Thorpe JE. The „metabolic Memory“: Is More  Than Just Tight Glucose Control Necessary to Prevent Diabetic Complications? J Clin Endocrinol Metab. 2009;  (2):410-5. DOI: 10.1210/jc.2008-1824. Epub 2008 Dec 9.