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Impfberatung: Eine Kernkompetenz der hausärztlichen Primärversorgung – Decision Support

Das Impfen und die Impfberatung gehören zum hausärztlichen Alltag, selbst  wenn wir mit Impfskeptikern – Menschen mit einer eher negativen Einstellung bzw. ausgeprägten Zweifeln gegenüber Impfungen – oder gar mit „Impfverweigerern“ oder „Impfgegnern“ zusammentreffen. Letztere sind rationalen Argumenten und einer sorgfältigen Aufklärung und Argumentationslinie oftmals schwer zugänglich – selbst wenn es sich um die Impfung ihrer Kinder oder um den Schutz von vulnerablen Angehörigen handelt. Erstere – also Impfskeptiker – benötigen oftmals einfach Zeit und Unterstützung, Daten und Fakten oder aber mehr Vertrauen, um selbst zu einer Entscheidung für oder gegen eine Impfung zu kommen. Diese Entscheidungsfindung können Hausärzt_innen begleiten. Bei dieser Entscheidungsfindung spielen Hausärzt_innen eine wichtige Rolle.

Einflussfaktoren auf die Impfentscheidung
– Information und Wissen

  • Bildung

– Risiko-Wahrnehmung

  • kognitiv: Erkrankungswahrscheinlichkeit und- Schwere, Komplikationswahrscheinlichkeit und-Schwere
  • affektiv: beeinflusst durch Emotion/Gefühl und Empfindungen

– Andere Einflussfaktoren

  • Haltung
  • Persönlichkeit
  • gesellschaftliche Normen
  • deskriptive Normen (was machen andere?), soziales Umfeld
  • Gewohnheiten
  • Barrieren (Kosten, Zeit, Aufwand)

Weiterer wichtiger Faktor ist das Vertrauen:

Die Akzeptanz von Impfungen ist von dem in der Öffentlichkeit transportierten Vertrauen bzw. Zuversicht in die Effektivität und Sicherheit von Impfungen, Vertrauen auf das Gesundheitssystem, Gesundheitsexperten und- berufe sowie auch in die wissenschaftliche Gemeinschaft  abhängig.
Eine Mehrheit der Patient_innen kommt schon mit Vorinformationen aus dem Internet/den Medien in die Ordinationen. Im Internet sind mehr Argumente von Impfgegnern zu finden als wissenschaftliche, für Laien verständliche Information über die Vorteile von Impfungen. Negative – selbst wenn falsche – Meldungen beherrschen rascher und nachhaltiger die Medien als positive.
Auf der einen Seite ist es somit wichtig, dass „die Öffentlichkeit“ – also im Gesundheitssystem verantwortliche Institutionen und Entscheidungsträger eine positive Kommunikation und Kampagnen unterstützen, die der breiten Bevölkerung zugänglich sind und beim Verständnis von Nutzen und Risiken helfen.  Impfen sollte  im Interesse der Gesellschaft sein.

Vaccines are some of the most efficient public health tools for promoting health and reducing the burden of infectious diseases. They also translate into significant socioeconomic returns not only in child health and lower child mortality but also in poverty reduction, equity, production, education and strengthening health systems as a whole. “  WHO – Vaccination and Trust – Introduction

Wichtig ist hier wie erwähnt auch das Vertrauen in die Empfehlungen wissenschaftlicher Gesellschaften – die allgemeine Bevölkerung beschäftigt sich nicht oder kaum mit der zugrundeliegenden Evidenz über unterschiedliche Impfungen und deren Effektivität oder nachweisbaren Nebenwirkungen. Obwohl Impfungen permanent am gesellschaftlichen Prüfstand sind, kann mühsam aufgebautes Vertrauen  durch mediale Berichte oder auch zweifelnde/zweifelhafte wissenschaftliche Veröffentlichungen – die dann medial auch noch aufgegriffen werden – rasch wieder zerstört werden.

Manchen in Erinnerung ist in diesem Zusammenhang z.B. noch die Debatte über die MMR-Impfung als Auslöser von „Autismus“ Ende der 90er Jahre, welche zum Einbruch der Impfraten in Europa führte. Weiteres Beispiel sind geführte Debatten über die Wirksamkeit der Influenzaimpfung (bzw. Durchbruchserkrankungen trotz Impfung) und Erfahrungen mit vorhandenen oder empfundenen Nebenwirkungen – wer von uns hat nicht schon mehrfach den Satz gehört: „Nach der Grippeimpfung war ich dauerkrank“ – oder: „seit ich nicht mehr Grippe impfe bin ich im Winter infektfrei“?

Zusätzlicher Einflussfaktor ist im Zusammenhang mit der Risiko-Wahrnehmung selbstverständlich auch die Wahrnehmung der Krankheitsschwere und möglicher Komplikationen sowohl durch die Erkrankung als auch die Impfung.  Impfungen haben dazu geführt, dass die Durchseuchung/Krankheitshäufigkeit der  Erkrankungen gegen die geimpft wurde, in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat –die Angst vor der Erkrankung wurde durch die Angst vor der Impfung bei manchen Menschen ersetzt. Gerade Impfungen gegen Erkrankungen wie Influenza und vielleicht auch einmal Covid-19 sind von einer   ausgewogenen Risikowahrnehmung abhängig – solange Influenza subjektiv nicht als potentiell schwere Erkrankung wahrgenommen wird, werden Barrieren wie Kosten, Zeit und Aufwand relevante Einflussfaktoren bleiben.

Und welche Rolle spielen in all dem die Gesundheitsberufe – insbesondere die Allgemein-und Familienmedizin?

Auch in den Gesundheitsberufen gibt es Impfskeptiker oder sogar Impfgegner – so auch in Österreich . Es ist wohl davon auszugehen, dass die eigene, subjektive Haltung gegenüber Impfungen, auch die Beratung und Weiterempfehlungen von Impfungen an andere Personen  (negativ) beeinflusst .  Angehörige der Gesundheitsberufe sind zu Zeiten der allgemein zunehmenden Verunsicherung gegenüber Impfungen sehr wichtig für Vertrauensbildung und Decision Support. Auch hier muss man bedenken: Vertrauen ist schwer zu bekommen und braucht Zeit aufgebaut zu werden – Vertrauen kann auch rasch wieder verloren gehen.

Gerade in diesem Bereich ist es im Interesse der Stakeholder und Veranwortlichen, Fehlinformationen effektiv entgegen zu steuern und zu korrigieren – allein schon die Erwähnung möglicher Mythen oder Fehlinformationen kann negative Auswirkung auf ein größeres Umfeld haben.

Die Rolle der kontinuierlichen Versorgung
Gerade im Zweifelsfall, bei Skepsis oder Unsicherheit sind das Verstehen von Ängsten und Bedenken  das Wissen über den Hintergrund bzw. Ursache dieser Skepsis  relevant – welche Einflussfaktoren gibt es? Vielleicht kennen wir die Familie schon länger, wissen, dass die Eltern bereits skeptisch waren oder betreuen auch das soziale Umfeld und kennen dort vorhandenen Skeptizismus.

Wie in so vielen Dingen gilt es auch bei „der Impfdiskussion“, die individuelle Persönlichkeit  zu verstehen und die Personen auf ihrem Wissensstand zu Impfungen „abzuholen“. Dies funktioniert nicht zwischen „Tür und Angel“, es braucht Vertrauen und Zeit. Gerade die hausärztliche Betreuung in ihrer Kontinuität und mit ihren vielen chronologisch aufeinanderfolgenden kürzeren und längeren Kontakten „sammelt“ Kontaktzeit, und das bietet Möglichkeiten  für Verständnis und Vertrauensbildung.

Im Rahmen dieser kontinuierlichen Versorgung findet auch die Dokumentation vergangener Impfungen statt, die hausärztliche Routine kann die Impfroutine (Einhaltung bestehender Empfehlungen zu Auffrischungsimpfungen lt. Österr. Impfplan) unterstützen. Die Rekonstruktion verlorener Impfpässe, Recallsysteme oder Erinnerungssysteme in der Ordination oder mit dem Impfpass (und wenn es nur das Eintragen des nächsten Impfzeitraums mit Bleistift im Impfpass oder eine Erinnerungsfunktion in der Ordinationssoftware ist) können unterstützen – noch. Wie dies mit einem elektronischen Impfpass zukünftig sein wird, bleibt abzuwarten.

Die Rolle der lokalen Versorgung
Bildung, gesellschaftliches Umfeld, deskriptive Normen – Hausärzt_innen haben oft Einblick in diese Faktoren, da sie selbst in die lokalen Strukturen bzw. in die Gemeinschaft eingebettet sind. Allgemeinmediziner_innen sind auch Arbeitsmediziner_innen oder Schulärzt_innen. Sie sind vor Ort und niederschwellig erreichbar. Kosten, Zeit und Aufwand der Impfung bleiben überschaubar – vor allem in ländlichen Regionen bzw. bei wohnortnaher Versorgung und auch in Zusammenhang mit den vulnerablen Gruppen – die hausärztliche Versorgung kann Barrieren vermindern – Hausärzt_innen impfen auch bei Hausbesuchen.

Die Rolle der Kommunikation – Decision Support
Eine der wesentlichen hausärztlichen Funktionen in der Patientenkommunikation ist auch das Übersetzen von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und  von Evidenz  in die Sprache, die den Patient_innen vertraut ist, die sie auch verstehen. Es ist das Erklären von Erkrankungen, Diagnosen und Folgen, das Erklären von Medikamenten, Wirkungen und Nebenwirkungen. Wir können unsere Patient_innen dazu anregen ihren Lebensstil zu ändern, Maßnahmen zu setzen und Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention unterstützen. Wir helfen ihnen, Möglichkeiten zu verstehen und Entscheidungen zu treffen. Auf Impfungen trifft das auch zu. Was in der hausärztlichen Primärversorgung manchmal fehlt sind vielleicht Zeit und rasch verfügbare, unterstützende Tools, die uns die Kommunikation erleichtern.

In Bezug auf die Risikokommunikation von Erkrankungen oder auch Impfungen ist es wichtig, in verständlichen und vorstellbaren Kenngrößen zu bleiben, gleichzeitig aber folgendes zu vermitteln:

 

  • Kompetenz – unsere Beratung muss kompetent sein, wir müssen Wissen und Expertise vermitteln
  • Objektivität – die zu Verfügung gestellte Information und Beratung muss objektiv und ohne Interessenskonflikte sein
  • Fairness – Gegenargumente bzw. Zweifel müssen wahrgenommen und aufgegriffen werden
  • Konsistenz – Botschaften und Handlungen müssen nachvollziehbar und auch vorhersagbar sein
  • Empathie – Emotionen/Gefühle müssen wahrgenommen werden, eine transparente, offene und ehrliche Kommunikation darüber ist notwendig – Empathie und Transparenz sind relevante Co-Faktoren
  • Akzeptanz – die Betroffenen müssen das Gefühl haben, dass ihnen zugehört wird, dass ihre Sorge verstanden wird und die Beratung zu ihrem Besten ist.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass die überlieferte Information klar und einfach ist, keine nicht erklärten „technischen“/medizinischen Begriffe beinhaltet, Bedenken und Unsicherheiten beantwortet werden und, selbst wenn es nichts Neues zu sagen gibt, die notwendige Information rasch verfügbar, konsistent und wiederholt zu Verfügung gestellt wird. Visualisierungen können hierbei zusätzlich unterstützen. Allein schon die Verwendung klarer Kenngrößen kann das Verständnis verbessern. Die Verwendung von % oder auch Angaben wie selten, häufig etc. erzeugt hingegen keine klare Vorstellung und bleibt abstrakt.

 

Vergleich Erkrankung  Impfung
x/100 entwickelt Symptom a (z.B.Fieber) x/100 reagiert auf die Impfung mit Symptom a (z.B. Fieber
x/1000 entwickelt eine schwere Erkrankung b x/1000 (oder 10.0000) entwickelt schwere Komplikation d
x/10.000 stirbt (nicht x/1000, x/2000, x/5000 usw)

 

Impffolgen
1 von 100 Personen kann nach einer MMR-Impfung Fieber entwickeln 
(nicht 1% entwickelt Fieber nach MMR-Impfung).

Im Vergleich zueinander:
1 von 100.000 Menschen kann nach MMR-Impfung eine Meningitis entwickeln, 1000 von 100.000 etwas Fieber

(nicht 1 von 100)

WHO-Tipp: Auf Seiten wie z.B. www.iconarray.com lassen sich rasche Visualisierungen solcher Zahlen ggf. auch darstellen und für den täglichen Gebrauch herunterladen/speichern.

 

Autoren (alphabetisch): Degn Barbara, Gustav Kamenski, , Wendler Maria

Review: Croy Cornelia, Kowatsch Peter, Preiml Ulrike, Susanne Rabady

 

Literaturquellen beim Verfasser