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Das Vertrauensarztmodell

Grundsatzpapier der ÖGAM zu einer Neuorientierung des österreichischen Gesundheitssystems

Um die Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems zu sichern, gilt es Optimierungspotentiale im Sinne einer Effizienzsteigerung zu finden und umzusetzen. Die Österreichische Gesellschaft für Allgemein und Familienmedizin (ÖGAM) hat dazu folgende Vorschläge und Forderungen:

  1. Wir bekennen uns zum solidarischen, sozialen Gesundheitssystem mit freiberuflichen Arztpraxen als Grundlage der ambulanten Versorgung. Dies steht im Gegensatz zu ambulanten Versorgungszentren im Besitz von Kapitalgesellschaften, deren wichtigstes Ziel der Shareholder Value ist.
  2. Wir anerkennen die Notwendigkeit von Regelungen bzw. Steuerung durch die Sozialversicherungen unter der Voraussetzung ausreichender Transparenz und Mitbestimmung der Ärzteschaft. Das Ziel jeder Maßnahme im Gesundheitssystem muss klar erkennbar sein. Es muss einerseits der Erfüllung der medizinischen Bedürfnisse und der Zufriedenheit der Bevölkerung dienen, andererseits aber auch zeitgemäße Arbeitsbedingungen und die berufliche Zufriedenheit der im Gesundheitsbereich Tätigen gewährleisten.
  3. Wir bekennen uns zu einer integrierten Versorgung auf der Basis einer tragfähigen Arzt-Patientenbeziehung. Dies bedeutet die Aufgabendefinition der jeweiligen Versorgungsebene, die Betreuung auf der dem jeweiligen Gesundheitsproblem angemessenen Ebene und die strukturierte Zusammenarbeit zwischen den Ebenen.
    Eine integrierte Versorgung impliziert Zugangsregelungen:

    • Die Versicherten wählen einen „Arzt des Vertrauens“ (z.B. französisches Modell).
    • Die Wahl ist persönlich. In einer Familie kann jeder seinen eigenen Arzt wählen.
    • Jeder Allgemeinmediziner oder Facharzt kann gewählt werden. Notwendig ist dessen Zustimmung. Der Arzt kann nur bis zu einer gewissen Versichertenzahl Versicherte zur Einschreibung annehmen. Vertretungen und Notfälle bedürfen einer Sonderregelung.
    • Der Arzt des Vertrauens wird bei einer Erkrankung und in Fragen der Gesundheitsvorsorge zuerst aufgesucht. Ausnahmen sind Notfälle und zu definierende Fachgruppen.
    • Werden andere Fachärzte oder Ambulanzen direkt aufgesucht ist ein Selbstbehalt vom Versicherten zu tragen.
    • Der Versicherte kann sich von seinem gewählten Arzt abmelden, dazu ist das Ausfüllen eines Formulars notwendig das an Versicherung und Arzt zu senden ist. 
  4. Entsprechend der Zahl der eingetragenen Versicherten wird von der Versicherung pro Jahr ein Betrag für die Strukturvorhaltung an die Praxis gezahlt. Die Praxis verpflichtet sich im Gegenzug zu einem definierten, von jedem Kassenarzt zu erbringenden Leistungsspektrum.
  5. Wir fordern umsetzbare Rahmenbedingungen für neue Kooperationsformen wie Gruppenpraxen oder regionale Betreuungsverbünde zur Sicherung der Erreichbarkeit und Zusammenarbeit vor allem auch in Großstädten.
  6. Um die Kontinuität der Betreuung zu gewährleisten, bedarf es einer verpflichtenden Befundübermittlung aller Einrichtungen des Gesundheitswesens an den Arzt des Vertrauens. Ebenso bedarf es im Anlassfall der gezielten Informationsübermittlung vom Arzt des Vertrauens an die konsultierten Kooperationspartner.
  7. Wir fordern eine Anpassung des stationären Bereiches an europäisch übliche Dimensionen und eine bessere Koordination der Finanzierung des stationären und niedergelassenen Bereiches.
  8. Den Punkten 1-7 liegt ein Bekenntnis zur umfassenden Qualität im Gesundheitswesen zugrunde. Es betrifft die Dimensionen Effektivität, Effizienz, Erreichbarkeit, Gleichheit, Angemessenheit und Sicherheit. Die im Folgenden beispielhaft angeführten Aspekte der Qualität sollen die unterschiedlichen Sichtweisen (Patienten, Leistungserbringer, Berufsstand, Systemverantwortliche) widerspiegeln:

Qualität aus Sicht der Patienten

  • Professionelle Reaktion auf ihre Anliegen, Bedürfnisse, Probleme durch hohe Kompetenz der Leistungserbringer
  • Sicherheit (geringe Risiken bei Diagnostik, Therapie)
  • Gute Erreichbarkeit (wohnortnahe Versorgung), angemessene Wartezeiten
  • Erfüllung des Informationsbedürfnisses, Beteiligung an Entscheidungen, Recht auf Selbstverantwortung
  • Respektvoller, würdevoller Umgang
  • Verschwiegenheit
  • Datenschutz
  • Recht auf einen persönlichen Arzt
  • Recht auf eine kontinuierliche Betreuung
  • Recht auf Prävention

Qualität aus Sicht der ärztlichen Leistungserbringer

  • Erhalt der Rahmenbedingungen für eine vertrauliche Arzt-Patientenbeziehung
  • Gutes Ergebnis der professionellen Leistung
  • Möglichkeit zur Erbringung angemessener Diagnostik sowie effektiver und effizienter Therapie
  • Ausreichend Raum für Prävention
  • Erhaltung und der eigenen Gesundheit
  • Arbeitszufriedenheit von Ärzten und Angestellten

Qualität aus Sicht des ärztlichen Berufsstandes

  • Gute Aus- und Weiterbildung
  • Arbeitsmöglichkeit entsprechend dem Stand der Erkenntnisse
  • Einhaltung ethischer Grundhaltungen
  • Leistungsgerechtes Einkommen
  • Weitgehende Selbstbestimmung in Anerkennung der Leistungen für die Gesellschaft

Qualität aus Sicht der Systemverantwortlichen

  • Angemessenheit der Ressourcen für die lokalen Bedürfnisse
  • Transparente und die Arbeitswirklichkeit der Leistungserbringer berücksichtigende Regelsysteme
  • Sicherung der Finanzierbarkeit im Sinne von Bereitstellung ausreichender Mittel
  • Zufriedenheit der Bevölkerung