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Kompetente Primärversorgung – wie determiniert der Ausbildungsort die spätere Versorgungsqualität?

Eine der wesentlichen Aufgaben der nächsten Jahre wird die Sicherstellung der medizinischen Primärversorgung sowohl in puncto Quantität als auch in puncto Qualität sein. Die Qualität der Ausbildung junger Ärzte wird auch durch den Ausbildungsort bestimmt. Allgemeinärztliches, generalistisches Handeln findet an mehreren Orten innerhalb des Gesundheitssystems statt. Jeder dieser Orte hat seine speziellen Aufgabenstellungen und daraus resultierende Anforderungen an die dort tätigen Fachpersonen. Im ambulanten Sektor sind die beiden maßgeblichen Versorgungsformen einerseits die Hausarztpraxis, andererseits die Notfall-, Erstaufnahme- bzw. sonstige Allgemeinambulanz mit Filterfunktion. Für diese beiden Bereiche sollen im Folgenden die jeweiligen Tätigkeitsfelder, die erforderlichen Qualifikationen sowie die möglichen Ausbildungsinhalte und -ziele in ihren Besonderheiten und Unterschieden beschrieben werden.

I. Allgemeinmedizin in der Hausarztpraxis: Kontinuierliche Versorgung aller Arten von Gesundheitsanliegen in allen Lebensphasen

A. Grundlegende Charakteristika und Basiskompetenzen

  1. Das Hauptmerkmal der Hausarztpraxis, das sie von anderen allgemeinmedizinischen Versorgungseinrichtungen unterscheidet, ist die Kontinuität der Betreuung. Daraus ergeben sich auch zentrale Lernfelder, die die Hausarztpraxis bietet (siehe B). Diese Kontinuität besteht typischerweise aufmehreren Ebenen gleichzeitig, nämlich in Bezug auf:
    1. den Patienten und seine Familie (Versorgung über längere Zeiträume, über mehrere Lebensalter und -phasen, Betreuung mehrerer oder aller Familienmitglieder unabhängig von Geschlecht und Alter)
    2. die Umgebung („Community“, Arbeitsumfeld, Umwelt- und soziale Aspekte, epidemiologische regionale Besonderheiten)
    3. den/die Ansprechpartner (Hausarzt mit hausärztlichem Team)
    4. das Gesundheits- und soziale Netzwerk (Hausarzt mit externen GDAs, Spezialisten, weiteren regionale Versorgungseinheiten)
    5. die Beziehung (personenbezogener Zugang, unabhängig von Art und Ausmaß der Beschwerden und Gesundheitsstörungen)
    6. Herstellung von Kontinuität der Versorgung über die unterschiedlichen Ebenen und deren Schnittstellen hinweg (Kommunikation, Informationstransfer, Kooperation, Begleitung)
  2. Weitere Charakteristika sind:
    1. Die abschließende Behandelbarkeit von mindestens 80 % der Anliegen, unter weitgehender Schonung von Ressourcen:
      • Apparativ-diagnostische Mittel sind nur in begrenztem Maße unmittelbar verfügbar
      • Die Weiterleitung an die nächste Ebene (Spezialisten) muss mit zeitlicher und räumlicher Distanz erfolgen
    2. Der generalistische Zugang auf mehreren Ebenen, nämlich hinsichtlich:
      • fächerübergreifender Zuständigkeit für die gesamte Heilkunde
      • Zuständigkeit für den Patienten in allen seinen Lebenszusammenhängen, im Längs- und im Querschnitt
      • Zuständigkeit für den Verlauf von Erkrankungen und anderen Gesundheitsstörungen über längere Zeit („Disease Management“)
    3. Punkt 2 b ermöglicht zusammen mit der unter Punkt 1 erwähnten multimodalen Kontinuität erst die unter Punkt 2 a beschriebene Kompetenz zur abschließenden Behandlung unter Aufwendung gelinder Mittel
  3. Die erforderlichen Basiskompetenzen sind:
    1. Kenntnisse in allen relevanten Fächern der Heilkunde, wobei sich idealerweise Fachauswahl und Tiefe der jeweiligen Spezialitäten auch nach dem zu erwartenden späteren Tätigkeitsfeld zu richten hat: Ein Hausarzt in entlegenen, z. B. in Bergregionen wird eine höhere Notfallkompetenz benötigen als ein späterer Stadtarzt, möglicherweise auch vertiefte Fähigkeiten in Gynäkologie und Unfallchirurgie; dem Stadtarzt wiederum wird unter Umständen eher eine intensivere psychiatrisch-psychotherapeutische Ausbildung entgegenkommen
    2. Personenbezogenes Handeln unter Berücksichtigung von Verlauf, Gesamtproblematik, Verhaltensmuster des Patienten, Vorgeschichte, Vorerfahrungen etc.
    3. Aufbau von tragfähigen Beziehungen (siehe dazu Punkt 1)
      • zum Patienten, zu seinen Angehörigen
      • innerhalb des Praxisteams
      • zu GDAs der unterschiedlichen Ebenen (mobile Dienste, Spezialisten, stationäre Einrichtungen, Physio- und Psychotherapeuten, Apotheker u. v. a)
      • zu den örtlichen Behörden und sozialen Einrichtungen
    4. Rollensicherheit mit Aufrechterhaltung von Äquidistanz, z. B. gegenüber allen Familienmitgliedern, miteinander im Streit liegenden Patienten
    5. Umgang mit regionalen Strukturen und Besonderheiten (umweltbedingte Störfaktoren, Bevölkerungszusammensetzung, ökonomische Zusammenhänge, geografische Besonderheiten, Verfügbarkeit von Unterstützungsmöglichkeiten)
    6. Bei hausärztlicher Tätigkeit im kleinstädtischen oder ländlichen Bereich:
      1. Umgang mit Nähe und fehlender Anonymität
      2. Umgang mit Rolleninterferenzen und komplexen Abhängigkeiten (Behandeln und Betreuen von Autoritäten, Bekannten)
      3. Umgang mit sozialen Erwartungen an Arzt und Praxisteam
      4. Führung einer Hausapotheke
    7. Arbeitsorganisation, insbesondere Umgang mit hoher Arbeitsdichte, Simultaneität unterschiedlicher Arbeitsfelder: Fokussieren, „Umschalten“, Flexibilität. Selbstsorge und angemessene Abgrenzung gegenüber Patientenbedürfnissen
    8. Praxisorganisation, Unternehmensführung, rechtliche Grundlagen, Qualitätssicherung
    9. Wissensmanagement im praktischen Alltag
  4. Da die hier beschriebenen Basiskompetenzen sich auf die einzigartigen Eigenheiten der Hausarztpraxis beziehen, ist der einzig geeignete Lernort dafür die hausärztliche Praxis. Ausgenommen ist Punkt 3 a. Kenntnisse in den praxisrelevanten Fächern können sowohl an stationären Einrichtungen als auch in entsprechenden Ambulanzen, ergänzt durch die hausärztliche Lehrpraxis, vermittelt werden (siehe dazu Punkt I. B). Sinnvoll erscheint, dass nach Möglichkeit eine Praxis zur Ausbildung gewählt wird, wo die Anforderungen der angestrebten Tätigkeit möglichst ähnlich sind. Das bedeutet, dass ein zukünftiger Landarzt idealerweise auch in einer Landarztpraxis ausgebildet werden sollte.

B. Arbeitsfelder

1. Akuterkrankungen

Etwa 60 % aller Patienten in der Hausarztpraxis stellen sich wegen akuter Erkrankungen vor. Das Spektrum reicht dabei von Befindlichkeitsstörungen bis zum lebensbedrohlichen Notfall. Entsprechend breit ist das Spektrum der geforderten Kompetenzen.

  1. Diagnostik: erfolgt im nicht vorselektionierten Niedrigprävalenzbereich („Seltenes ist selten“). Ziel ist die Abwägung der optimalen diagnostischen Ebene mit gegebenenfalls gezielter Weiterleitung an spezialistische Leistungserbringer. Besonderheiten in der Hausarztpraxis:
    1. Begrenzte Verfügbarkeit apparativer Leistungen und spezialistischer Konsile
    2. Entscheidungen über das Vorgehen müssen rasch getroffen werden, eine längere Beobachtung an Ort und Stelle ist meist nicht möglich
    3. Erstmaßnahme ist die Differenzierung zwischen Notfall (mit unmittelbarem Handlungsbedarf), möglichen abwendbar gefährlichen Verläufen (mit Entscheidungsnotwendigkeit: Weiterleitung, Behandlung, Beobachtung), und Erkrankungen mit geringerer Dringlichkeit (elektive Diagnostik und Therapie bis hin zum abwartenden Offenhalten)

Neben den bereits dargelegten allgemeinen hausärztlichen Kompetenzen sind hierfür die spezielle Kenntnis der diagnostischen Mittel und Algorithmen im Niedrigprävalenzbereich erforderlich. Daher muss der Kompetenzerwerb hinsichtlich des medizinisch-fachlichen Wissens auch in der hausärztlichen Lehrpraxis erfolgen, wobei ein Teil dieser Fähigkeiten auch im Setting einer Allgemein oder Notfallambulanz erworben werden kann (siehe dazu II B). Krankheitsverteilung und die daraus resultierende Priorisierung von Maßnahmen sind an Spezialambulanzen und in stationären Einrichtungen ganz anders. Zur Eignung des Lernortes Hausarztpraxis hinsichtlich fachlicher Kompetenzen siehe Carney et al. sowie Alguire et al. in ihrem Standardwerk zur Lehrpraxis.

  1. Die Therapie erfolgt unter Abwägung der optimalen therapeutischen Ebene mit gegebenenfalls (in etwa 10 bis 20 % der Fälle) gezielter Weiterleitung an spezialisierte Leistungserbringer. Besonderheiten:
    1. Die Hausbesuchssituation stellt besondere Anforderungen an die hausärztliche Kompetenz (stärker eingeschränkte Mittel, kein professionelles Team vor Ort)
    2. Handeln in der Hausarztpraxis erfolgt immer personenbezogen und bezieht Komorbiditäten, Vorerfahrungen und Ängste des Patienten, Gesundheitsverhalten und soziale Einbettung sowie spezielle Gegebenheiten wie Mangel an Betreuung zu Hause, Umgebungsgefahren (Stürze!), funktionelle Kapazitäten (Seh- und Hörvermögen, kognitive Funktionen, eingeschränkte Mobilität) in diagnostische und therapeutische Überlegungen ein. „Therapie in einer Hand“: Kontinuität im KH-Verlauf.
Kompetenzen Lernort
Tabelle 1: Kompetenzen Akutversorgung mit Lernort
Generalistische medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten Stationärer Bereich, Ambulanzen, Hausarztpraxis
Diagnostische Algorithmen bezogen auf den Niedrigprävalenzbereich Hausarztpraxis
Erkennen abwendbar gefährlicher Verläufe mit gelinden Mitteln Hausarztpraxis
Informationsgewinnung unter Einsatz von Vorkenntnissen und Vorerfahrungen Hausarztpraxis
Fokussierte Diagnostik (bezogen auf den Anlassfall) Allgemeinambulanz, Hausarztpraxis
Dispatching und Triage, Priorisierung Ambulanzen, Hausarztpraxis
Transportentscheidung- und Organisation im extramuralen Bereich Hausarztpraxis

2. Chronische Krankheiten und Multimorbidität

Der Anteil der Patienten, die sich mit einer chronischen Krankheit als Beratungsanlass vorstellen, liegt bei etwa 30 %. Zu berücksichtigen ist, dass, in Abhängigkeit von der Altersstruktur der Praxis, ein beträchtlicher Anteil der Patienten mit akuten Beschwerden gleichzeitig an einer oder mehreren chronischen Krankheiten leidet, die je nach Anlass gleichzeitig thematisiert werden müssen. Chronische Krankheiten erfordern ganz andere Behandlungskonzepte als akute Beschwerden:

  1. Vorausplanende, strukturierte Betreuung
    1. Kontinuierliche Betreuung der Patienten und seiner Angehörigen von der Erstdiagnose durch alle Stadien bis hin zu einer eventuellen Palliativsituation
    2. Betreuung im internen (Praxis-) und externen (Spezialisten, mobile Dienste, andere GDAs) Team
  2. Zusammenschau mit Komorbiditäten und Komedikationen
  3. Unterstützung bei Krankheitsbewältigung und Umfeldgestaltung (incl. Beruf)
  4. Behandlung bei interkurrenten Erkrankungen und Exazerbationen
Kompetenzen/Lernziel Lernort
Tabelle 2: Kompetenzen bei der Betreuung chronisch Kranker, bei Multimorbidität sowie bei geriatrischen und Palliativpatienten
Generalistisches medizinisches Fachwissen, Kenntnisse über chronische Krankheiten, Leitlinien, Behandlungspfade Stationär, Spezialambulanzen, Hausarztpraxis
Strukturierte Betreuung im ambulanten Setting, Organisation, Strukturaufbau, Teamaufbau Hausarztpraxis
Umgang mit Multimorbidität, Wechselwirkung von Krankheiten, Interventionen und Medikationen Hausarztpraxis
Erkennen und Handling von Komplikationen Stationär, Ambulanzen (Spezial- und Allgemein-), Hausarztpraxis
Überweisungs- und Hospitalisierungsentscheidungen in Abhängigkeit von Betreuungsmöglichkeiten, technischen und apparativen Hilfsmitteln und Behandlungszielen Hausarztpraxis
Kommunikationstechnik, Beziehungsaufbau, Umgang mit psychosozialen Krisensituationen Stationär, Ambulanzen (Kurzzeitbeziehung, punktuelle Intervention), Hausarztpraxis (Langzeitbeziehung, längerfristige Maßnahmen mit Vorausplanung)

Umfeldbetreuung: Umgang mit Angehörigen, Organisation mobiler DIenste, Grenzziehung, Umgang mit Werten und Erwartungen: konstante Rollenkonformität und therapeutische Haltung

Teamleading, Rollenverhalten, Selbstsorge

Haushaltspraxis

3. Geriatrische Betreuung im Team

mit Assessments, Angehörigenbetreuung, Betreuung zu Hause, Entscheidung über Institutionalisierungs- notwendigkeit sowie die unter 4 angeführten Punkte.

4. Palliativbetreuung zu Hause mit

  1. Symptombehandlung incl. Schmerztherapie
  2. Begleitung von Patient und Angehörigen
  3. Kooperation mit Palliativteams und stationären Einrichtungen

Prävention

Vorsorge und Früherkennung erfolgen in der Allgemeinpraxis sowohl geplant (Screeninguntersuchungen unterschiedlicher Art) als auch ungeplant im Rahmen von Konsultationen aus anderen Ursachen.
Aufgabenstellungen:

  1. Screening (Darmkrebs, Brustkrebs, Prostatakrebs, allgemeine Vorsorgeuntersuchung etc.): Beratung des Patienten über Sinnhaftigkeit und Risiken unter Bedachtnahme auf individuelle Haltungen und Lebenskonzepte, Umgang mit Angst und Unsicherheit bei Verdacht auf Pathologie, Einleitung und Steuerung einer allfälligen weiteren Abklärung
  2. Impfungen
    1. Impfplan unter Berücksichtigung individueller Risikokonstellation, reisemedizinische Beratung
    2. Eventuell Recall: rechtliche Situation, Organisation und Handhabung c. Erinnerung im Rahmen von Zufallskontakten
  3. Spezielle Risikosituationen
    1. Lebensstil
    2. Familiäre Risiken
    3. Risiken aus der Vorgeschichte

Kompetenzen:

  1. Kenntnis möglicher Risiken und Prädispositionen für Erkrankungen
  2. Fähigkeit zur Evaluierung und Risikostratifizierung
  3. Erhebung einer Familienanamnese
  4. Kenntnis der Stadien der Veränderungsbereitschaft
  5. Kommunikationskompetenz: Erzeugung von Übereinstimmung ohne Erzeugung von Angst und Sorge

Der einzig geeignete Lernort für diese Kompetenzen ist die hausärztliche Praxis, da diese Fragestellungen im intramuralen ambulanten Setting definitionsgemäß nicht vorgesehen sind.

II. Allgemeinmedizin in Notfall- und Allgemeinambulanzen: „Episodic Care“ mit dem Ziel von Erstdiagnostik und -behandlung in dringlichen, akuten Situationen

A. Charakteristika episodischer allgemeinmedizinischer Intervention

Charakteristisch für die Allgemeinmedizin an Notfall- bzw. Allgemeinambulanzen ist ein anlassbezogener, zeitlich begrenzter Zugang („episodische Betreuung“) mit dem Ziel einer Erstdiagnostik, die sich an akuten Beschwerden orientiert, gerichtet auf die Zuordnung des geeigneten Behandlungsorts (intra-, extramural): „Die Filterfunktion der Ambulanzen (gemeint sind Notfallambulanzen und Aufnahmestationen, Anm. der Autorin) dient dazu, nur solche Patienten, die einer stationären Spitalsbehandlung bedürfen, an die jeweils zuständige Fachabteilung aufzunehmen, die übrigen Patienten aber nach Erstversorgung in die Betreuung durch den niedergelassenen Bereich (praktische Ärzte, Fachärzte) sowie durch Fachambulatorien zu entlassen.“ Die Ansprechpersonen können vom Patienten nicht gewählt werden, sondern ergeben sich aus dem Dienstplan. Die Arzt-Patient-Beziehung erstreckt sich also nur auf den Zeitraum der einzelnen Begegnung. Bei einer eventuellen Kontrolle oder einem neuerlichen Kontakt kann nicht damit gerechnet werden, dass die Kontaktpersonen die gleichen sind. Gelehrt werden kann in solchen Situation der schnelle Aufbau einer kurzzeitigen Beziehung, die anlassbezogen ausreichendes Vertrauen herstellt.

B. Kompetenzen und Lernfelder

Der Aufbau einer Langzeitbeziehung mit der allmählichen Erfassung der gesamten Breite kann in diesem Zusammenhang nicht erfahren werden, ebenso wenig wie die Beobachtung von Erkrankungs- bzw. Beschwerdeverläufen möglich ist. Damit können auch keine Erfahrungen und Erkenntnisse hinsichtlich des Erfolgs der getroffenen Maßnahmen gewonnen werden. Gut erlent werden kann in diesem Zusammenhang der Umgang mit raschen Entscheidungen bei unbekannten Patienten und geringer Vorinformation, Dispatching (also die Entscheidung über die korrekte Zuordnung zur geeigneten Behandlungsstelle), eventuell Triagierung bei hoher Patientenfrequenz mit unterschiedlicher, teils großer Dringlichkeit. Zu weiteren Lerninhalten, die an Ambulanzen vermittelt werden können, siehe Tabelle 3.

C. Wesentliche Unterschiede zwischen hausärztlicher extramuraler und allgemeinmedizinsch intramuraler Versorgung

Diese Entscheidungen können sich in Ablauf und Ergebnis jedoch von denen in der Hausarztpraxis trotz gleichen Anlasses deutlich unterscheiden, was sich aus den jeweiligen Kennzahlen ablesen lässt. Während in der Hausarztpraxis 80 % bis 90 % der Beratungsanlässe abschließend behandelt werden können (siehe dazu I. A. 2), wurden laut Pichlbauer 56 % der selbstzuweisenden Patienten stationär aufgenommen, 58 % der ambulant versorgten Patienten erhielten eine weiterführende Diagnostik (fachärztliche Begutachtung, apparative Diagnostik). Die Unterschiede erklären sich aus folgenden Faktoren:

  • Das Patienten- und Krankheitsspektrum ist, wie erwähnt, unterschiedlich:
    1. Akute Erkrankungen, Akutereignisse im Rahmen chronischer Krankheiten,
    2. Höhere Wahrscheinlichkeit komplizierter Verläufe und seltener Ereignisse (gemischter Prävalenzbereich, „Selection Bias“)
    3. Viele Patienten suchen gezielt Ambulanzen auf, weil sie einen hohen apparativen und spezialistisch-fachärztlichen Aufwand wünschen.
  • Viele Hausärzte verfügen über ein breites Leistungsspektrum, das Interventionen umfasst, die im intramuralen Bereich meist durch Spezialisten erbracht werden
  • Aufgrund der Kenntnis des Patienten und seines Umfelds – also der oben ausgeführten speziellen hausärztlichen Arbeitsweise – können Entscheidungen anders getroffen werden (siehe Absatz I. A)

Eine der sowohl für den Patienten als auch für das System wichtigen Aufgaben hausärztlichen Handelns, nämlich der Schutz des Patienten vor zu viel Medizin, kann also nur in der Hausarztpraxis erlernt werden, da im intramuralen Bereich Aufgabenstellung, Entscheidungsabläufe und Methodik anders sind als in der Hausarztpraxis. Zum Prozess der Entscheidungsfindung in der Allgemeinmedizin siehe Abholz und Wilm.

D. Schlussfolgerungen

Einige Aspekte allgemeinmedizinisch-hausärztlichen Handelns können auch im Rahmen der Lehre an einer intramuralen ambulanten Einrichtung erlernt werden. Zahlreiche berufsdefinierende Fähigkeiten und Kenntnisse können dagegen ausschließlich in der niedergelassenen Hausarztpraxis erworben werden. Eine Ausbildung in „Episodic Acute Care“ für ambulante Patienten kann durchaus sinnvoll sein, wenn sie zusätzlich zu einer ausreichend profunden Lehrpraxiszeit im hausärztlichen Setting erfolgt.

Kompetenzen Lernort
Tabelle 3: Kompetenzen und Lernort im Bereich von „Episodic Care“ (Allgemeinambulanzen, Notaufnahme)
Korrekte Zuordnung akuter Erkrankungen und Planung einer Erstversorgung abhängig von der Dringlichkeit Intramural ambulant oder stationär, Hausarztpraxis
Rascher Aufbau einer zeitlich begrenzten, problemorientierten  Beziehung Intramural ambulant oder stationär, Hausarztpraxis (Vertretungen, Bereitschaftsdienst)
Dispatching

Intramural ambulant oder station, Hausarztpraxis

Umgang mit einer hohen Zahl unteschiedlicher und unterschiedlich gravierender Ereignisse in kurzer Zeit,

Technische Fertigkeiten, fachlich-medizinische Kompetenz

Intramural ambulant oder stationär, Hausarztpraxis (Vertretungen, Bereitschaftsdienst)

Triagierung Intramural ambulant oder stationär
Selbstschutz Intramural ambulant oder stationär, Hausarztpraxis
Qualitätssicherung und Wissensmanagement Intramural ambulant oder stationär, Hausarztpraxis
Krankenhaushygiene Intramural ambulant oder stationär

 

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